Morbus Scheuermann (Osteochondrosis Vertebralis)

Unter Morbus Scheuermann (Osteochondrosis Vertebralis) wird allgemein eine Wirbelkörperreife- bzw. Verknöcherungsstörung der Wirbelsäule im mittleren und unteren Bereich der Brustwirbelsäule verstanden. Innerhalb des jugendlichen Wachstums kommt es zu einer vermehrten Rundrückenbildung im Brustwirbelsäulenbereich (Kyphose). In wenigen Fällen tritt eine Verknöcherung auch im oberen Bereich der Lendenwirbelsäule auf. Beschrieben hat der dänische Mediziner Holger Scheuermann die Krankheit erstmals im Jahr 1920 als: „rigide Kyphose, vergesellschaftet mit keilförmigen Wirbelkörpern, die in später Kindheit auftritt.“.

Wie kommt es zum Morbus Scheuermann?

10 von 1000 Jugendlichen entwickeln, Statistiken nach zu urteilen, in ihrer heranwachsenden Entwicklungsphasen einen Morbus Scheuermann, wobei Jungen doppelt so häufig betroffen sind wie Mädchen. Die genauen Ursachen des Morbus Scheuermanns sind dabei jedoch unbekannt. Vermutet wird, dass zum einen der genetische Code (autosomal-dominante Vererbung) als auch zum anderen unterschiedliche Stoffwechselstörungen und starke mechanische Beanspruchungen des Organismus‘ in Zeiten des Wachstums ausschlaggebend für die Entwicklung der scheuermann‘schen Krankheit sein können. In aktuellen Studien wird der Morbus Scheuermann tiefergehend untersucht, damit auch diese Krankheit noch besser verstanden wird und verschiedene Therapieformen entwickelt werden können.

Wie wird der Morbus Scheuermann erkannt?

Der Morbus Scheuermann ist eine häufige Erkrankung von Jugendlichen, welcher einhergeht mit der Ausbildung einer strukturellen Kyphose. Auffällig werden Jugendliche vor allem durch einen fortschreitenden Rundrücken. Hinzutreten können durch zunehmenden Krankheitsverlauf ebenfalls stärker werdende Rückenschmerzen im betroffenen Bereich des Rückens als auch im kompensatorischen Bereich des Körpers. Veränderungen treten besonders im Bereich der Brustwirbelsäule (Typ I), etwas seltener im Bereich der Lendenwirbelsäule oder des thorakolumbalen Überganges (Typ II) auf. Diagnosen des Morbus Scheuermann erfolgen dabei in der frühen Phase klinisch, in späteren Stadien radiologisch. Folgende Punkte sind demnach typisch für den Krankheitsverlauf des Morbus Scheuermanns:

  • Keilförmige Deformierung der Wirbelkörper <5°,
  • Verschmälerung der Zwischenwirbelräume,
  • Unruhe in Grund und Deckplatte der Wirbelkörper,
  • Ossifikationsstörungen ventraler Randleisten,
  • Ausbildung von Schmorl-Knötchen.

In Abhängigkeit der körperlichen Lokalität werden zwei verschiedene Typen des Morbus Scheuermann unterschieden.

  • Typ I: klassische oder thorakale Form
  • Typ II: atypische oder lumbale Form

Klinische Diagnostik & Bildgebende Verfahren

Die klassische oder thorakale Form des Morbus Scheuermanns wird dabei in ihrem frühen Stadium zunächst auf Basis der klinischen Diagnostik erkannt. Später können auch bildgebende Verfahren hilfreich hinzugenommen werden. Den Hintergrund der Scheuermann‘schen Krankheit bilden dabei, wie bei vielen Wirbelsäulenerkrankungen, zumeist muskuläre Dysbalancen (unteres gekreuztes Syndrom nach Janda, oberes gekreuztes Syndrom nach Janda). Die zunehmende Kyphose beeinflusst die Ausbildung einer kompensatorischen Hyperlordose im Bereich der angrenzenden Wirbelsäulenabschnitte – so versucht der Körper, die körperliche Belastung durch die verstärkte Wölbung der Kyphose auszugleichen. Festgestellt wurde darüber hinaus, dass eine zeitgleiche Entwicklung einer Skoliose nicht ungewöhnlich ist.

Hilfreiche bildgebende Verfahren erfolgen konventionell durch Röntgendiagnostik und ergänzen eine klinische Diagnose. Die Aufnahme dient im Gesamten der Beurteilung der Deformität der Wirbelsäule sowie deren exakten Verlauf. So erfolgt die Gesamtaufnahme der Wirbelsäule grundsätzlich im Stand. Beurteilt werden soll das Ausmaß der Deformität insbesondere im lokalen, segmentalen und globalen thorakalen Bereich der Kyphose. So können insbesondere die einzelnen Wirbelkörper genau betrachtet und beschrieben werden. Hinsichtlich des Morbus Scheuermann Typ I gibt es folgende radiologische Veränderungen der Grund- und Deckplatten von 3 bis 5 Wirbelkörpern:

  • Zunahme der Sagittaldurchmesser der Wirbelkörper, Verschmälerung der ventralen Wirbelkörper & Keilwirbelbildung (Knutson-Zeichen)
  • Exostosenartige Vorsprünge an benachbarten Wirbelkörpern (Edgén-Vaino-Zeichen)

Beim Morbus Scheuermann Typ II ist es darüber hinaus wichtig abzuklären, inwiefern die Darstellung von Grund- und Deckplattenveränderungen der Wirbelkörper von Ausbildungen von Schmorl-Knötchen und Zwischenraumerweiterungen begleitet wird.

Muskuläre Dysbalancen beim Morbus Scheuermann

Muskuläre Dysbalancen können klinisch vor allem durch typische Triggerpunkte herausgefunden werden. Die Syndrome nach Janda sind dabei typisch für Betroffene eines Morbus Scheuermanns. Beim unteren gekreuzten Syndrom nach Janda wurde herausgefunden, dass der innere Hüftmuskel (m. iliopsoas) sowie der Rückenstrecker (m. erector spinae) lokal erhöht gespannt sind. Gleichzeitig kommt es zu einer Hemmung der Bauch- und Glutuälmuskulatur, der hinteren Beinmuskulatur. Beim oberen gekreuzten Syndrom nach Janda kommt es stattdessen zu einer Spannungserhöhung der Nackenstreckermuskulatur und insbesondere des Schulterblatthebers (m. levator scapulae). Ebenfalls einer Spannungserhöhung ausgesetzt sind die Brustmuskeln (m. pektoralis). Kombinationen treten schließlich auf mit einer Hemmung der Schulterblattmuskulatur (Interscapularmuskulatur). Besonders betroffen sind hier vor allem großer und kleiner Rautenmuskel des Rückens (m. rhomboideus) sowie die Halsbeugemuskulatur (m. sternocleidomastoideus).

Symptome & Therapieform

Die Behandlung hat grundsätzlich zum Ziel, die Symptome einer schwerwiegenden Wirbelsäulendeformität zu vermeiden bzw. bereits entstandene adäquat zu behandeln. Die Entlastung der Wirbelkörper ist dabei von erheblicher Wichtigkeit, damit Rückenschmerzen gelindert werden und eine Schmerzreduktion bzw. Schmerzbeseitigung stattfinden kann. Über den Versuch der Korrektur der Wirbelsäulendeformität sollen letztlich myofasziale Kontrakturen der Muskulatur durch ihre in der Krankheit vorhandenen Dysbalance minimiert bzw. vermieden werden. Ein reziprokes Zusammenspiel der Korrektur von Muskulatur und Wiedergewinnung der Beweglichkeit der Wirbelsäule ist also entscheidend. Bei den konservativen Therapieformen fußt die Behandlung auf drei grundlegenden Punkten:

  • Krankengymnastik (Versuch der Entlastung der Wirbelkörper durch diverse Methoden wie Elektrostimulation der Muskulatur, Therapieform nach Brügger, Klein-Vogelbach oder Lehnert-Schroth))
  • Medikamentöse Therapie (bei vermehrten Schmerzen)
  • Korsettbehandlung (Boston Korsett mit Dreipunktabstützung, Becker-Gschwend-Korsett)

Die operativen Therapieformen kommen zumeist erst nach Wachstumsabschluss in Frage und umfasst eine operative Korrektur ab einem Kyphosewinkel >70° nach Cobb. Aufgrund von vielfältigen spezifischen Komplikationen einer operativen Kyphosekorrektur ist diese jedoch nur im äußersten Notfall in Betracht zu ziehen. Die häufigsten Operationsverfahren sind Kombinationen einer ventralen Bandscheibenausräumung, Aufrichtung und Auffüllung der Bandscheibenräume durch autologene Knochen mit einer dorsalen Stabilisierung. Hierfür sind Kompressions- und Distraktionsinstrumente Instrumente hilfreich. Auf dem Markt gibt es zahlreiche orthopädische Implantate sowie Wirbelsäulensysteme, die dabei behilflich sein können, die Aufrichtung zu erleichtern. Indikationskriterien für eine operative Therapie sind:

  • Starke Beeinträchtigung der Ästhetik
  • Beeinträchtigung der Lungenfunktion
  • Neurologische Symptomatik
  • Schwere der Krümmung
  • Überdurchschnittlich starke Schmerzen (myofasziale Kontraktionen)

Morbus Scheuermann und Sport

Begleitend zu gängigen Therapieformen wird besonders von Sportmedizinern und Orthopäden zu einem Training aus gezielten Kräftigungsübungen, Gymnastik (für die Wiedergewinnung der Beweglichkeit) und vor allem Schwimmen geraten. Dabei soll besonders das Training der Rückenmuskulatur im Mittelpunkt stehen. Sportarten, die eine ventrale Wirbelkörperkompression beinhalten bzw. von starker kyphosierender Beanspruchung der Wirbelsäule sind, sollen nach medizinischem Rat gemieden werden. Diese wären zum Beispiel Rudern, Kanusport oder Radsportarten. Ebenfalls sollte Abstand davon genommen werden, starke axiale Belastungen der Wirbelsäule auszusetzen (z.B. Gewichtheben). Ballsportarten, Turnen und Leichtathletik hingegen sind durchaus ebenso ratsam wie Schwimmen. Wichtig ist dabei stets, die Wirbelsäulenkompression so gering wie möglich zu halten und die Streckung und Beweglichkeit von Muskeln und Wirbelsäule wieder zu erhöhen. Bei vorausschauender Lebensführung und korrekter Balance aus gezieltem Muskeltraining und wohldurchdachter Regenerationsphase bedingt ein Morbus Scheuermann das allgemeine Wohlempfinden sowie die Lebensqualität kaum.

* Dieser Text dient nur zur Orientierung! Es handelt sich nicht um eine Diagnose!